Die Schattenpiloten

An der Hubschrauberwerft in Rheinmünster flie­gen sie Hubschrauber, die gera­de erst „zusam­men­ge­setzt“ wur­den, über­win­den wei­te Distanzen – ganz auf sich allein gestellt – und tes­ten die Hubschrauber der DRF Luftrettung bis kurz vor ihre Belastungsgrenzen: tech­ni­sche Piloten. Ein beson­de­rer Beruf, der hier zusam­men mit vier Kollegen, die zu die­sem Team gehö­ren, ein­mal vor­ge­stellt wer­den soll.

Vor Sebastian Fuhr steht ein rot-wei­ßer Hubschrauber. Nach 1.000 Flugstunden im Rettungsdienst wur­de die Maschine von den Techniker*innen in der Werft der DRF Luftrettung am Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden aus­ein­an­der­ge­nom­men und bis ins letz­te Detail geprüft. „Die Einzelteile des Hubschraubers sind sozu­sa­gen gera­de erst aus dem Regal genom­men und zu einem Hubschrauber zusam­men­ge­fügt wor­den“, schil­dert Sebastian Fuhr. Jetzt ist es die Aufgabe des tech­ni­schen Piloten, den ers­ten Flug mit der Maschine zu bestrei­ten und sie auf ihre Flugtüchtigkeit zu tes­ten.

Begleitet wird er dabei von Techniker*innen der DRF Luftrettung. Bevor die Maschine jedoch in die Luft steigt, bespricht Sebastian Fuhr alle Einzelheiten des Flugs mit den Techniker*innen. Welche Werte sol­len erreicht wer­den? Welche mög­li­chen Abweichungen der Norm sind bei den geplan­ten Manövern ein­deu­ti­ge Warnsignale? Wie die Profis im alpi­nen Skisport geht Sebastian Fuhr jedes Manöver im Kopf durch. Nach einem letz­ten Rundgang und einem abschlie­ßen­den prü­fen­den Blick auf die Maschine, steigt er hoch kon­zen­triert ins Cockpit und lässt die Triebwerke an.

Technische Piloten – ver­läss­li­che Partner
Der Grundstein für die Gruppe der tech­ni­schen Piloten wird bereits in den 2000er Jahren gelegt. „Die Organisation ent­schied sich damals für ein fest ver­füg­ba­res Team von Werkstattpiloten in Rheinmünster”, erin­nert sich Werner Rödel, der ers­te Werkstattpilot der Technik. Nach eini­ger Zeit ergänzt Hans-Peter Herzel das Team, etwa zehn Jahre lang füh­ren sie gemein­sam die erfor­der­li­chen Werkstattflüge durch. An das ste­ti­ge Wachstum der DRF Luftrettung ist auch die Erweiterung der Kollegenschaft geknüpft. Zunächst folgt Dietmar Gehr nach Rheinmünster, zuletzt wächst das Team mit dem Eintritt von Sebastian Fuhr auf vier Werkstattpiloten. „Die Mitarbeitenden schät­zen sehr, dass sie die Piloten über Jahre hin­weg ken­nen – man ver­lässt sich auf­ein­an­der”, erzählt Werner Rödel. „Vertrauen spielt eine gro­ße Rolle.”

Von Hubschraubern, die über­führt wer­den müs­sen
Als tech­ni­sche Piloten leis­ten die Kollegen neben Flügen zur Überprüfung der Technik auch soge­nann­te „Ferry-Flüge” oder „Überführungsflüge”. „Ganz ein­fach aus­ge­drückt: Wir brin­gen dabei Hubschrauber von A nach B”, erklärt Dietmar Gehr. Viel zu beschei­den ist die­se Beschreibung, denn nur dank die­ser Tätigkeit kann der täg­li­che Einsatzbetrieb an den Stationen am Leben gehal­ten wer­den. Dafür flie­gen die Piloten allein in der Maschine wei­te Distanzen und über Gebiete, die sie im Vergleich zu den Luftrettern an den Stationen nicht wie ihre Westentasche ken­nen. Ebenfalls steht ihnen kein HEMS-TC, Notfallsanitäter*in mit Zusatzausbildung zur flie­ge­ri­schen Unterstützung, wäh­rend des Fluges zur Seite.

Überführungsflüge ste­hen an, wenn zum Beispiel an einem Stationshubschrauber eine uner­war­te­te Störung auf­tritt. Nun wird zunächst eine Technikerin oder ein Techniker der soge­nann­ten „Line Maintenance” an die Station geschickt, die/der den Hubschrauber über­prüft. Wenn sie/er dabei fest­stellt, dass die Maschine zur Reparatur in unse­re Werft am Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden muss, erhal­ten die tech­ni­schen Piloten einen Auftrag: Sie müs­sen einen ande­ren Hubschrauber an die Station flie­gen und den bis­he­ri­gen in die Werft. „Für die­se Situation habe ich immer einen gepack­ten Rucksack parat ste­hen”, erzählt Sebastian Fuhr. Denn nur wenn jetzt alle Zahnräder sofort inein­an­der­grei­fen, kann sich die Besatzung schnell wie­der für Notfälle ein­satz­be­reit mel­den.

Vor kur­zem konn­te ich so dazu bei­tra­gen, dass die Crew nach einem tech­ni­schen Ausfall des eige­nen Hubschraubers noch am glei­chen Tag mit der Ersatzmaschine zu einem wei­te­ren Einsatz abhe­ben und somit einem Menschen in einer Notsituation wert­vol­le medi­zi­ni­sche Hilfe zu Teil wer­den konn­te”, erzählt Sebastian Fuhr. Er ist stolz, Teil die­ser Wirkungskette zu sein.

Wenn das Ablaufdatum naht
Planbar im Vergleich zu die­sen spon­ta­nen Flügen sind die Überführungen von Stationshubschraubern zu regel­mä­ßi­gen Wartungen in die Werft. „Wie nach dem Ablaufdatum eines Joghurts müs­sen unse­re Hubschrauber ent­we­der nach einem fes­ten Datum oder einer gewis­sen Zahl an Flugstunden wie­der in die Wartung”, so Dietmar Gehr.

Im Rahmen der Überführungsflüge wer­den bei Bedarf auch Maschinen zwi­schen den Stationen aus­ge­tauscht. „So bin ich zuletzt mit ver­schie­de­nen Hubschraubern von Rheinmünster über Halle und Berlin bis ins öster­rei­chi­sche Fresach geflo­gen”, berich­tet Hans-Peter Herzel.

Dabei sind die Piloten mehr oder weni­ger auf sich allein gestellt, neh­men die Planung der Flugroute vor, legen Zwischenlandungen zum Auftanken fest und stu­die­ren die Wettervorhersagen. „Zudem ler­nen wir bei Überführungsflügen auch die Besatzungen der Stationen sehr gut ken­nen. Mit ihnen muss alles abge­stimmt wer­den, so dass das Timing per­fekt passt. Daher freue ich mich auch immer wie­der auf die Landung und dar­auf, an den Stationen mei­ne Kolleginnen und Kollegen zu tref­fen”, so Dietmar Gehr.

Anzeigen leuch­ten auf und ein Alarm pfeift in den Ohren„
An der Werft in Rheinmünster ist Sebastian Fuhr mit der zu prü­fen­den Maschine gera­de in die Höhe gestie­gen. Im Hubschrauber herrscht Stille – nur hin und wie­der tau­schen die Techniker*innen und der Pilot ein paar Worte zu den aktu­el­len Werten aus oder der Funkverkehr mit der Flugsicherung unter­bricht die Stille. Dann beginnt das ers­te Flugmanöver.

Angst habe er bei die­ser Arbeit nie, schil­dert Sebastian Fuhr. „Für mich ist der Hubschrauber kei­ne ‚Black-Box‘, son­dern ich weiß sehr genau, was dar­in vor sich geht und was zuvor von der Technik gemacht wur­de. Zudem behal­te ich alle Werte eng­ma­schig im Blick.“ Dennoch flie­ge der Respekt vor der flie­ge­ri­schen Aufgabe und dem Luftfahrzeug immer mit. „Der Respekt vor dem was wir tun ist für mich, genau­so wie für die mit­flie­gen­den Techniker, die Basis unse­rer Sicherheit.“

Unsere Brücke zum siche­ren Hubschrauber
Gemeinsam mit den Techniker*innen wird nach dem Flug ent­schie­den, ob die Maschine wie­der bereit für die nächs­ten Einsätze ist. Dies gelin­ge nur durch den Zusammenschluss zwei­er Bereiche, erläu­tert Dietmar Gehr: „Dank einer Brücke zwi­schen der Technik bezie­hungs­wei­se dem soge­nann­ten Part-145 und dem Flugbetrieb mit uns tech­ni­schen Piloten ent­steht am Ende wie­der ein siche­rer Hubschrauber.”

Das bestä­tigt auch Werner Rödel: „Das Team der Werkstattpiloten ist ein gro­ßer Beitrag zur Sicherheit. Die Werkstattpiloten sind durch ihre per­ma­nen­te Anwesenheit vor Ort in die stan­dar­di­sier­ten Abläufe ein­ge­bun­den und fest mit der Technik ver­haf­tet.”

So agie­ren die tech­ni­schen Piloten täg­lich im Hintergrund, ste­hen nie im Rampenlicht – die „Schattenpiloten”, die täg­lich für den Nachschub an unse­ren Einsatzhubschraubern sor­gen.

Quelle: DRF Luftrettung

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